CT-Scanner im Ambulanzfahrzeug soll Infarktpatienten retten
Neuigkeit • von Marie Kjempff
Video: Emma Kjeldsen
Jährlich gibt es etwa 12.000 Infarkte in Dänemark. Infarkt wird hier als Kurzbezeichnung für eine beginnende Gehirnschädigung durch ein Blutpfropf oder eine Blutung im Gehirn verwendet. Infarkte sind die vierthäufigste Todesursache in Dänemark.
Das deutsch-dänische Gemeinschaftsprojekt untersucht nun Möglichkeiten, wie man das Leben von Infarktpatient*innen retten kann. Das Projekt wird mit Mitteln des Interreg-Programms der EU gefördert. „Mobile Stroke Unit“ lässt sich mit „Mobiles Infarkt Fahrzeug“ übersetzen.
Bei Infarkten sind eine schnelle Diagnose und ein schnellstmöglicher Start der Behandlung außerordentlich wichtig.
„Bei Infarkten sagt man: Time is brain, weil die Zeit wirklich zählt. Je Minute die vergeht, sterben 2 Millionen Gehirnzellen. Mit jeder Minute verliert man Gehirnfunktionen“, erklärt Troels Wienecke, spezialfachlicher Oberarzt an der Abteilung für Neurologie in Roskilde. Er leitet den dänischen Teil der Studie.
Im obenstehenden Video können Sie von Troels Wienecke und seinen deutschen Projektpartnern noch mehr über die „Mobile Stroke Unit“ erfahren.
Ein CT-Scanner auf Rädern
Die Grundidee der „Mobile Stroke Unit“ ist, einen CT-Scanner in ein spezielles Ambulanzfahrzeug einzubauen, eben in diese sogenannte Mobile Stroke Unit (MSU). Dieses Fahrzeug unterstützt dann das Ambulanzfahrzeug, das bereits auf dem Weg zum/r Patient*in ist.
Das kommt besonders Bürger*innen zugute, die weit vom Krankenhaus entfernt wohnen und die eine lange Transportzeit dorthin haben.
„Hier können wir die Zeit nutzen, indem wir die MSU dem ankommenden Ambulanzfahrzeug entgegensenden. Dann kann man ganz schnell, beispielsweise auf einem Autobahnparkplatz, den/die Patient*in den CT-Scanner umladen und dann sofort mit der Diagnose sowie der Behandlung beginnen“, erklärt Troels Wienecke. Auf diese Weise kann man eine Diagnose bereits stellen, bevor der/die Patient*in im Hospital ankommt. „Dadurch können wir herausfinden: Handelt es sich um einen Blutpfropf, oder handelt es sich um eine Gehirnblutung. Die Behandlung beider Arten ist zeitkritisch, aber die Behandlungsmethoden sind unterschiedlich“, sagt Troels Wienecke und verweist auf zwei Beispiele: „Hat man Bedarf an einer medizinischen Behandlung, einer Thrombosebehandlung, würde man vielleicht 30 Minuten sparen. Benötigt man eine mechanische Behandlung, wo man das Blutgerinnsel mechanisch entfernt, so spart man eventuell sogar bis zu 75 Minuten. Und die eingesparte Zeit entspricht den geretteten Gehirnzellen.“
Der deutsche Teil des Forschungsprojektes
Auf deutscher Seite wird das Forschungsprojekt von Oberarzt Dr. Georg Royl und Prof. Dr. Peter Schramm vom Institut für Neurologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vertreten.
Dr. Georg Royl sieht große Möglichkeiten, die sich durch einen Einsatz des MSU-Fahrzeugs insbesondere in Norddeutschland oder Seeland ergeben. Beide ländliche Regionen sind durch große Entfernungen geprägt. Nicht nur wäre man in der Lage, sofort mit der Behandlung zu beginnen, man könnte auch frühzeitig entscheiden, welches Krankenhaus für den/die Patient*in das richtige ist, denn nicht jedes Krankenhaus kann jede Schlaganfalltherapie vorhalten.
„Beide Aspekte sind wichtig, da man wertvolle Zeit spart, und damit die Chancen für den Patienten verbessert, nachbleibende Behinderungen zu vermeiden“, sagt Dr. Georg Royl.
Auch wenn Dänemark und Norddeutschland ähnliche Behandlungsmethoden haben, so gibt es doch eine Reihe von logistischen und strukturellen Unterschieden im Gesundheitswesen beider Länder. Aber trotz dieser Unterschiede – oder gerade wegen dieser Unterschiede, empfinden beide Seiten die Zusammenarbeit als fruchtbringend.
„Die Zusammenarbeit mit Dänemark ist eine schöne Sache. Es ist interessant, Erfahrungen mit den dänischen Kollegen auszutauschen, und wir lernen viel voneinander – auch durch den Vergleich der verschiedenen Systeme in Deutschland und Dänemark“, sagt Georg Royl.
Troels Wienecke ist der gleichen Ansicht: „Auch wenn wir unsere Unterschiede haben – wir können viel voneinander lernen.“
Große Möglichkeiten in der Zukunft
Mit der demografischen Entwicklung in Europa wird sich ein wachsender Bedarf für eine verbesserte Infarktbehandlung ergeben.
„Wir bewegen uns hin zu einem längeren Lebensalter – und Infarkte betreffen typischerweise die ältere Bevölkerung. Deshalb werden die Ausgaben für Infarkte um 44 % steigen. Wir brauchen also eine schnellere Akutbehandlung, und wir müssen dort jetzt investieren, damit wir dann vorbereitet sind, wenn wir wirklich immer mehr Ältere haben“, meint Troels Wienecke.
Die beiden Wissenschaftler sind sich einig, dass sich durch die Mobile Stroke Unit hier erhebliche Verbesserungspotentiale ergeben.
„Bei einem Infarkt zählt jede Sekunde. Je schneller wir jedem Patienten eine optimale Therapie geben können, je besser. Darum sehe ich in diesem Projekt wirklich große Möglichkeiten“, sagt Dr. Georg Royl. Und sein Kollege Troels Wienecke ergänzt: „Wir retten bereits viele, aber stellen Sie sich vor, wir könnten noch mehr retten!“
Das Projekt Mobile Stroke Unit hat zum Ziel, einen mobilen CT-Scanner in einem speziellen Ambulanzfahrzeug zu testen. Wenn die Resultate dieser Tests positiv sind, könnten MSU-Fahrzeuge Teil der mobilen Bereitschaft des Gesundheitswesens in Seeland und Norddeutschland werden.
Mobile Stroke Units sind bereits in Berlin und in Norwegen im Einsatz.
Mehr zum Interreg-Projekt „Mobile Stroke Unit“ sehen Sie im Video, oben in diesem Artikel.
Fakten
- Jährlich werden in Dänemark ca. 12.000 Personen mit einem Infarkt ins Krankenhaus eingeliefert. Das sind ca. 33 Personen pro Tag.
- Im Durchschnitt erleidet in Dänemark eine von 7 Personen einen Infarkt in ihrem Leben.
- Derzeit sind Infarkte die vierthäufigste Todesursache in Dänemark, und die häufigste Ursache für Behinderungen bei Erwachsenen.
- Das Sterberisiko innerhalb der ersten 30 Tage nach einem Infarkt liegt bei 6% bei einer Thrombose, und bei 25% bei einer Hirnblutung.
- In Dänemark leben 90.000 Personen mit der Diagnose „Infarkt“.
- Infarkte führen zu vielen verschiedenen und oftmals erheblichen physischen und mentalen Behinderungen.
- 30% der Personen, die einen Infarkt erleiden sind unter 65 Jahre alt.
- Infarkte treten zu gleichen Anteilen bei Frauen und Männern auf.
- Die meisten Infarkte (85%) werden durch einen Blutpropf im Gehirn verursacht. Die restlichen 15% der Infarkte sind Hirnblutungen geschuldet.
- Infarkte sind verantwortlich für jährlich 600 neue Fälle von Frühpensionierung.
- Erwerbstätige Erwachsene mit einem Infarkt haben jährlich 500.000 mehr Krankentage als die erwerbstätige Bevölkerung ohne Infarkte. Das macht 2% aller Krankentage aus.
- Jedes Jahr schlagen Infarktbehandlungen mit ca. 2,03 Millarden kr. (270 Mill. €) zu Buche (Zahl von 2015)
Quelle: Apopleksiregister, D. Årsrapport 2019. Flachs, E.M., et al., Sygdomsbyrden i Danmark: sygdomme. 2015: Sundhedsstyrelsen. Goyal, M., et al., Endovascular thrombectomy after large-vessel ischaemic stroke: a meta-analysis of individual patient data from five randomised trials. Demant, M.N., et al., Temporal trends in stroke admissions in Denmark 1997–2009.